Online Musik Magazin /23.10.,2022
By Thomas Molke
Zauberoper mit beeindruckenden Projektionen
Die Geschichte um die sarazenische Zauberin Armida hat zahlreiche Komponisten inspiriert, so dass rund 100 Opern und Ballette zu diesem Thema entstanden sind. Die meisten fallen allerdings in die Zeit des Barock. Als Rossini 1817 seine Armida komponierte, war der Stoff bereits aus der Mode gekommen. Selbst Mozart soll schon im zarten Alter von 14 Jahren das Sujet bei einem Besuch der gleichnamigen Oper von Jommelli als "zu altvätterisch fürs theatro" bezeichnet haben. Umso mehr überrascht es, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts Antonín Dvořák nach seinem Erfolg mit Rusalka auf dieses Thema zurückgriff, zumal er sich mit Ausnahme seiner ersten Oper Alfred stets mit Geschichten aus dem slawischen Bereich beschäftigt hatte. Der Uraufführung am 25. März 1904 im Nationaltheater in Prag war auch kein großer Erfolg beschieden. Es sollte Dvořáks letzte Oper werden, da er bereits wenige Wochen nach der Uraufführung starb. Das Werk geriet auch in Tschechien schnell in Vergessenheit. Das Wexford Festival Opera, das sich stets mit Opern fernab des gängigen Repertoires auseinandersetzt, hat nun als Koproduktion mit dem J. K. Tyl Theater, Pilsen, Dvořáks "Zauberoper" auf den Spielplan gestellt, die natürlich thematisch hervorragend zum Festival-Thema "Magic & Music" passt.
Die Handlung basiert auf Torquato Tassos berühmtem Versepos Gerusalemme liberata. Darin befinden sich die Kreuzritter unter der Leitung von Gottfried von Bouillon auf einem Kreuzzug vor den Toren Jerusalems. Die Liebesepisode zwischen dem Kreuzritter Rinaldo und Armida stellt im Epos einen weiteren Versuch dar, die Kreuzritter von ihrer Mission abzubringen. Dvořáks Librettist Jaroslav Vrchlický verwendet für die Oper seine recht freie Übersetzung des kompletten Epos. Darin nimmt Ismen, der Herrscher von Syrien, der genauso wie Armida magische Kräfte besitzt, eine zentrale Rolle ein. Er will sich mit dem König von Damascus, Hydraot, gegen die Kreuzritter verbünden und hofft, dabei außerdem Armidas Liebe zu gewinnen. Diese lehnt ihn jedoch ab, zumal sie sich unsterblich in einen "strahlenden" Kreuzritter verliebt hat. Daher weigert sie sich auch zunächst, ins Lager der Kreuzritter zu gehen, um ihnen eine Falle zu stellen. Erst als ihr Vater die große Gefahr beschreibt, die von den Kreuzrittern ausgeht, ändert sie ihre Meinung. Im Lager der Kreuzritter, die der Zauberin recht skeptisch begegnen, trifft sie auf Rinaldo (in der Oper: Rinald) und beschließt, mit ihm zu fliehen. Das deuten die Kreuzritter als Hochverrat und wollen ihn zur Rechenschaft ziehen. In letzter Sekunde kann Ismen Armida und Rinald mit einem Drachenwagen aus dem Lager der Kreuzritter befreien und in Armidas magischen Zaubergarten bringen. Doch gegen Armidas Gefühle für Rinald hat er keine Chance. Folglich weist er zwei Kreuzrittern den Weg zu Rinald und führt sie zum magischen Schild des Erzengels Michael, mit dem sie schließlich Rinald aus den Fängen Armidas befreien. Im folgenden Kampf unterliegt Ismen jedoch dem geläuterten Kreuzritter, der anschließend auch Armida, die ihm als schwarzer Ritter entgegentritt, tödlich verwundet. Kurz vor ihrem Tod kann er sie noch durch die Taufe zum christlichen Glauben führen.
Hartmut Schörghofer zeichnet nicht nur für die Inszenierung verantwortlich, sondern hat auch gleichzeitig das Bühnenbild und die Kostüme entworfen, die recht konventionell gehalten sind. Für die Magie der Geschichte hat er sich von einem Effekt inspirieren lassen, der sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts als "Pepper's Ghost Illusion" großer Beliebtheit auf den Theaterbühnen erfreute. Bei dieser nach John Henry Pepper benannten Methode wird mittels eines Flachglases und spezieller Beleuchtung vor und hinter der Scheibe der Eindruck erzeugt, dass teilweise durchsichtige Objekte erscheinen und verschwinden können. Schörghofer teilt mit diesem Glas die Bühne diagonal in zwei Teile. Hinter dem Glas sieht man die Umrisse eines maurischen Palastes, in dem Hydraot lebt. Auf der rechten Seite des Glases werden mit Hilfe von Videoprojektionen eindrucksvolle Bilder erzeugt, die mal den Palast mit dem Lager der Kreuzritter überdecken oder einen magischen Unterwassergarten darstellen, in den Armida mit ihrem Geliebten Rinald vor den Kreuzrittern flieht. Diese Projektionen lassen sich durch einen Zauberwink von Ismen oder Armida problemlos zerstören und wieder herstellen. Durch den Spiegeleffekt des Glases werden die Figuren auch teilweise gedoppelt, so dass man das Gefühl hat, sie agieren vor und hinter der Scheibe.
In diesem Ambiente legt Schörghofer die Geschichte recht librettonah an und verzichtet auf Aktualisierungen, wenn man von modernen Kriegsbildern in einer Szene des Kampfes im vierten Akt einmal absieht. Dafür lässt er im zweiten Akt, wenn sich laut Libretto die Erde spaltet, und Ismen mit einem Drachenwagen auftaucht, um Armida und Rinald aus dem Lager der Kreuzritter zu befreien, einen gewaltigen Drachen in der Projektion auftauchen - Game of Thrones lässt grüßen. An dieser und den anderen Stellen hat der Video-Designer Raffaele Acquaviva wirklich ganze Arbeit geleistet. So bietet die Inszenierung zauberhafte Bilder, wobei erwähnt werden sollte, dass Schörghofer bei der Ouvertüre auf jedwede Inszenierung verzichtet und ganz der Musik vertraut. Das hat man heutzutage nicht mehr allzu häufig.
Musikalisch lassen sich viele Anklänge an Dvořáks drei Jahre zuvor entstandene Rusalka heraushören. Ansonsten ist die Musik so bombastisch wie die Handlung und könnte auch stellenweise für dramatische Blockbuster als Untermalung dienen. Norbert Baxa taucht mit dem Wexford Festival Orchestra mit aller Wucht in die Partitur ein. Hier wird geklotzt und nicht gekleckert, was aber wahrscheinlich vom Komponisten auch so intendiert war. Selbst die Liebesszenen zwischen Rinald und Armida wirken nicht einfach zärtlich, sondern zeigen, dass hier zwei sehr starke Charaktere durch eine große Leidenschaft verbunden sind. Die Titelpartie ist mit Jennifer Davis hochkarätig besetzt. Mit großem, dramatischem Sopran zeichnet sie die Zauberin als eine Frau, die genau weiß, was sie will, und sich nicht von einer von Männern dominierten Welt einschüchtern lässt. Ihre große Auftrittsarie greift melodisch Rusalkas Lied an den Mond auf, zeugt aber von einer enormen Kraft, die zeigt, dass sie auch ihrem Vater gegenüber ihren eigenen Willen durchsetzen kann. Nur ihre Liebe zu Rinald lässt sie schließlich schwach werden. Solange er an ihrer Seite steht, kämpft sie wie eine Löwin und kann sogar ihren Verehrer Ismen in seine Schranken weisen. So liefert sie sich mit ihm im dritten Akt einen musikalisch großartigen Schlagabtausch, bei dem sie zunächst als Siegerin hervorgeht. Auch wie sie mit einem Wink die Kreuzritter in Erstarrung versetzt, als sie ihren Geliebten Rinald angreifen, wird von Davis szenisch großartig umgesetzt. Nur gegen den Schild des Erzengels Michael ist sie dann machtlos, da sich durch ihn ihren Einfluss auf Rinald verliert. So tritt sie gewissermaßen wehrlos im letzten Kampf ihrem ehemaligen Geliebten entgegen und lässt sich tödlich verwunden. Wenn sie dann kurz vor ihrem Tod getauft wird, liegt sie als schwache Frau in seinen Armen.
Gerard Schneider verfügt als Rinaldo über einen strahlenden Heldentenor, der in den Höhen zu glänzen vermag. Glaubhaft gestaltet er den inneren Kampf des Kreuzritters, der zunächst dem Charme der Zauberin erliegt und das Leben in ihrem magischen Garten genießt. Wenn er jedoch den Zauber durchschaut, mit dem Armida regiert, wird er misstrauisch und lässt sich so schließlich von den beiden Kreuzrittern aus den Fängen der Geliebten befreien. Dass dies kein einfacher Weg ist, macht Schneider durch intensives Spiel deutlich. Am Anfang des vierten Aktes punktet er darstellerisch durch große Intensität. Absolut überzeugend zeigt er, wie Rinaldo allmählich seine Kraft zurückgewinnt, um schließlich sogar den Zauberer Ismen zu besiegen. Stanislav Kuflyuk stattet den Zauberer mit kraftvollem Bariton aus und stellt szenisch glaubhaft dar, wie sehr er die Zauberin Armida liebt. Jan Hynk lässt als Eremit Petr, der trotz seiner Blindheit alle Gefahren sieht, die von Armida ausgehen, mit autoritärem, dunklem Bass aufhorchen. Auch die übrigen kleineren Partien sind gut besetzt. Der von Andrew Synnott einstudierte Chor des Wexford Festival Opera scheint mit der tschechischen Sprache leichte Schwierigkeiten zu haben. Da klingen einzelne Passagen nicht so exakt, wie man es von dem Chor bei den anderen Produktionen des Festivals gewohnt ist. Das schmälert den Genuss der Vorstellung allerdings keineswegs, so dass es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Hartmut Schörghofer bricht mit einer recht librettonahen Inszenierung eine Lanze für Dvořáks letzte, kaum beachtete Oper. Ob es hilft, dem Werk mehr Popularität zu verleihen, mag auch mit Blick auf die Handlung bezweifelt werden. An die musikalischen Qualitäten von Rusalka reicht es nicht heran.