Kieler Nachrichten /25.10.2022
Jürgen Gahre
Opernraritäten in Wexford
„Armida“: Antonin Dvoráks letzte Oper triumphiert im irischen Wexford
„Armida“ von Dvorák? Erfreulicherweise hat sich das Wexford Festival dieser stiefmütterlich behandelten, nur vier Jahre nach „Rusalka“ entstandenen Oper angenommen und in einer Inszenierung des aus Salzburg gebürtigen Hartmut Schörghofer zur Diskussion gestellt.
Wexford. “Armida“ von Antonin Dvořák? Nicht nur heutzutage reibt man sich verwundert die Augen, wenn man das liest. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Oper 1904 uraufgeführt wurde, war das Staunen über das Sujet groß, denn Armida-Vertonungen gibt es seit Lully und Händels Zeiten: Etwa einhundert Mal ist die auf Torquato Tassos „Gerusalemme liberata“ basierende Liebesgeschichte der Zauberin veropert worden.
Alle Aspekte dieser „amour fou“ waren, so schien es, ausgeleuchtet. Was soll da die 101. Version dann noch an neuen Erkenntnissen bringen? Dvořák aber war am Ende seines Lebens geradezu vernarrt in diesen Stoff und wollt unbedingt eine Oper daraus machen. Obwohl er ja in Tschechien fast einen Heiligenstatus genießt, wird dieses sein letztes Werk auch dort kaum aufgeführt, da der Stoff für altmodisch gehalten wurde und immer noch wird.
Dvoráks „Armida“ mit anderem Schluss als Händel „Rinaldo“
Hinzu kommt, dass der Dichter Jaroslav Vrchlický, der mehrfach für den Nobelpreis nominiert worden ist, kein guter Librettist war und Dvořák mit „Armida“ einen nichtslavischen Text vertonte. Wer Händels „Rinaldo“ kennt, wird erstaunt sein über den Ausgang der in tschechischer Sprache gesungenen Oper: Armida tritt in Kampfrüstung auf und versucht, Rinaldos Flucht zu verhindern. Ohne zu wissen, dass er mit seiner Geliebten kämpft, verletzt er sie tödlich. Hier gibt es also keine Versöhnung wie in Händels Version von 1711 (die späteren Fassungen sind wiederum anders).
Erfreulicherweise hat sich Wexford dieser stiefmütterlich behandelten, nur vier Jahre nach "Rusalka" entstandenen Oper angenommen und in einer Inszenierung des aus Salzburg gebürtigen Hartmut Schörghofer zur Diskussion gestellt. Die Musik ist bester Dvořák und zeigt auch die Charakteristika seiner in Amerika gemachten Erfahrungen. Der Einfluss von Richard Wagner ist aber unverkennbar, was besonders deutlich wird in der Musik zu dem "Verzauberten Garten" der Armida.
Der Regisseur Hartmut Schörghofer ist sein eigener Bühnenbildner und zeichnet auch für die Kostüme verantwortlich. Für die zur Zeit der Kreuzzüge in der Gegend von Damaskus spielende Handlung hat er ein bezauberndes Bühnenbild geschaffen, das durch seine reiche Ornamentik orientalisches Fair verströmt. D. M. Wood und Raffaele Acquaviva (Video Designer) sorgen in den Gartenszenen für wunderschöne Effekte, die den Zuschauer regelrecht in eine Traumwelt hineinziehen und ihn dort ebenso verzaubern wie Rinald, Armidas Geliebten.
Um dem Publikum die Orientierung zu erleichtern, tragen die Muslime um Ismen, dem Beherrscher Syriens, Turbane, die Kreuzfahrer dagegen sind an ihren weißen Gewändern mit rotem Kreuz erkennbar. Im Programmheft geht Schörghofer zwar darauf ein, dass die Oper in einem Gebiet spielt, das gegenwärtig ein gefährlicher Konfliktherd ist, in seiner Inszenierung ist allerdings keinerlei Bezug zur Gegenwart zu erkennen. Schade!
Wexford: Gute Sängerinnen und Sänger in der „Armida“
Alle zwölf Rollen dieser Oper, das sei vorweg gesagt, sind gut besetzt, die drei Sänger der Hauptpartien aber stechen hervor durch ganz außergewöhnliche Leistungen, allen voran die Armida der irischen Sopranistin Jennifer Davis. Sie durchlebt und durchleidet die verschiedenen Stufen ihrer Verliebtheit in Rinald mit großer Intensität und gestaltet ihre Rolle mit subtilem Nuancenreichtum, besonders im Schlussduett, wenn sie ihrem Geliebten verzeiht.
Dieser findet in dem aus Österreich gebürtigen Gerard Schneider einen Darsteller mit enormer Bühnenpräsenz, der seinen kräftigen, voluminösen Tenor flexibel einzusetzen vermag. Ismen, Rinalds Rivale in der Oper, ist ein Testosteron gesteuerter Draufgänger. Der ukrainische Bariton Stanislav Kuflyuk trifft den tollkühnen Charakter des syrischen Potentaten ganz hervorragend.
Der Tscheche Norbert Baxa dirigiert Chor und Orchester der Wexford Festival Opera mit dem richtigen Gespür für die lyrischen Szenen, verhilft aber auch der Dramatik der Oper zu ihrem Recht. Er trifft das Dvořák’sche Idiom ganz genau und sorgt sogar dann noch für Spannung, wenn die Musik gelegentlich langatmig ist. Das Premierenpublikum bedankte sich mit enthusiastischem Applaus.